
Die Frau mit den sechs Hüten
Sich selbst und andere aus einem anderen Blickwinkel sehen
Die Wahl-Schweizerin Anja Förster trainiert und coacht eine Reihe von europäischen Top-Unternehmern, die regelmäßig in den Finanz- und Wirtschaftsteilen der großen Zeitungen zu finden sind. Sie versteht sich nicht als Seminarveranstalterin, eher schon als Personal Trainer für persönliche Veränderungs- und Wachstumsprozesse, allgemeine Wissensvermittlung und als Sprachcoach für Business-Englisch und Geschäftsdeutsch. Als ihre Stärke bezeichnet sie die Fähigkeit, zusammen mit ihren Klienten verschiedene Sichtweisen und Haltungen zu erarbeiten, um zu unterschiedlichen Lösungsansätzen zu kommen. Network-Karriere-Herausgeber Bernd Seitz sprach mit Anja Förster über die Sechs-Hüte-Methode, die sie als Instrument für verschiedene Sichtweisen einsetzt.
Network-Karriere: Frau Förster, was hat es mit den sechs Hüten auf sich?
Anja Förster: Die sechs Hüte sind ein Instrument, mit dessen Hilfe Sie verschiedene Sichtweisen und damit verbunden Lösungsansätze zu einem Problem, einem Konflikt oder einer Aufgabe finden können.
NK: Können Sie unseren Lesern an einem Beispiel erläutern, wie man dieses Sechs-Hüte-Denken bei einem persönlichen Problem anwendet?
Förster: Selbstverständlich. Normalerweise empfehle ich meinen Klienten, zuerst einmal den „eigenen“ Hut aufzusetzen. Erst wenn sie sich erkannt haben, sollen sie in die Rollen der anderen Hüte schlüpfen. Dazu gebe ich Ihnen ein konkretes Beispiel: Ich persönlich bin ein recht rationeller und pragmatischer Mensch. Es fällt mir leicht, die Welt auf diese Art und Weise wahrzunehmen. Wenn ich nun in die Haut eines emotionalen Menschen schlüpfe, fällt es mir am Anfang zwar schwer – aber mit einiger Übung gelingt es mir immer besser. So nehme ich auf einmal Dinge wahr, die ich vorher gar nicht gesehen, gehört oder gespürt habe. Im Ergebnis erweitere ich mein Blickfeld, finde Lösungen zu Problemen, an die ICH – der Pragmatiker – gar nicht gedacht hätte.
NK: Welche Bedeutung haben die einzelnen Hüte?
Förster: Edward de Bono hat sie wie folgt definiert:

Der weiße Hut steht für Objektivität und Neutralität. Die Person mit dieser Denkund Handlungsweise wird hauptsächlich Informationen sammeln, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Dem roten Hutträger geht es hauptsächlich um sein subjektives Empfinden und seine persönliche Meinung. Er kommuniziert seine Emotionen, die positiven wie auch die negativen.

Der schwarze Hut steht für die objektiv negativen Aspekte, d. h. dessen Vertreter wird als Kritiker von den anderen wahrgenommen. Er sieht nur Risiken und das Negative, von ihm kommen nur Bedenken und Zweifel.

Der Gegenspieler des schwarzen ist der gelbe Hut. Er steht für die objektiv positiven Aspekte. Er wird also die Chancen und Pluspunkte herauskristallisieren und hervorheben.

Der grüne Hut steht für Kreativität. Wenn Sie diesen tragen, können Sie die verrücktesten Ideen aussprechen, die Ihnen durch den Kopf gehen. Der kreative Geist kennt keine Grenzen, um die unterschiedlichsten Lösungen zu einem Problem zu finden.

Die Person, die den blauen Hut trägt, ist der Moderator. Er ist verantwortlich für die Einhaltung der Regeln, die möglicherweise vereinbart worden sind. Er muss darauf achten, dass jeder Zeit zum Reden bekommt, und er muss entscheiden, welcher Hut vielleicht noch mehr zur Problemlösung beitragen könnte. Er fasst auch die Ergebnisse zusammen.
NK: Aber die sechs Hüte sind doch sicher nicht Ihr einziges Instrument, welches Sie nutzen?
Förster: Selbstverständlich nicht. Neben den sechs Hüten gibt es eine Vielzahl von Methoden und Instrumenten, die ich in meiner Arbeit ständig zur Anwendung bringe. Ich gebe Ihnen einige Beispiele:
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass in Teamsitzungen oder Seminaren die Teilnehmenden oft ihren „Stammplatz“ haben? Sie werden regelrecht ungehalten, wenn sich jemand auf „ihren Platz“ setzt. Was ich also oft mache, ist die Teilnehmer zu bitten, die Plätze zu wechseln. Diese ganz banale Veränderung – ich sitze woanders und habe andere Nachbarn etc. – ermöglicht es, eine andere Perspektive zu bekommen.
Auch die Art der Fragestellungen ist ein Mittel, um auf andere Sichtweisen zu kommen. So stelle ich manchmal seltsame Fragen wie: „Was würde wohl Einstein in dieser Situation machen?“ Auch hier öffne ich eine Tür für eine ungewohnte Denkweise, denn schließlich sind wir ja nicht Einstein.
Sich in Konfliktsituationen mit den Augen des Gegenübers zu sehen, ist eine weitere Variante. So bitte ich die Beteiligten zuerst, ihren Standpunkt darzulegen. Dann helfe ich ihnen, sich mit den Augen des Gegenübers zu sehen. Als dritte Perspektive gehen die Teilnehmer dann meta – d. h. sie gehen aus dem Geschehen heraus und betrachten sich selbst und ihren Konfliktpartner wie auf einer Bühne. Aus dieser distanzierten emotionslosen Perspektive erhalten sie oft Einblicke in ganz grundlegende Verhaltensmuster.
NK: Wie kommt man aus eingefahrenen beruflichen und privaten Wegen, die sichtbar nirgends hinführen, am besten in eine neue Richtung?
Förster: Es gibt verschiedene Situationen, die uns helfen oder vielleicht sogar zwingen, eine neue Richtung einzuschlagen. Eine Kündigung oder eine Krankheit können uns diese Chance bieten. Ich persönlich denke, dass ich aus den schwierigsten Situationen in meinem Leben am meisten gelernt habe. Dabei fällt mir ein, was ein Kollege immer zu mir gesagt hat, wenn ich nicht mehr weiter wusste: „Was dich nicht umbringt, macht dich stark.“ Eine harte Aussage, für mich hat sie bis heute gestimmt. Ich war z. B. vor einigen Jahren auf einem dieser eingefahrenen beruflichen Wege. Ich hatte zu dem Zeitpunkt meine Ausbildung beendet, hatte einen gut bezahlten Job mit Karrierechancen. Eigentlich war alles gut – aber nur eigentlich. Ich hatte nämlich seit vielen Jahren dieses Gefühl im Bauch, dass diese berufliche Ausrichtung nicht meinem Naturell – meinem Temperament – meiner Persönlichkeit entsprach. Aber ich hatte nie den Mut, einen echten Schlussstrich zu ziehen, weil ich keine realistische Alternative kannte. Ich kann mich noch sehr gut an den Moment erinnern: Jemand hatte mir – einer leidenschaftlichen Hobbyfotografin – ein Angebot gemacht, ihn und seine Reisegruppe als Fotografin zu begleiten. Die Fotos sollten dann später in einer Wanderausstellung gezeigt werden. Das waren meine „15 minutes of fame“. Und ich wollte mir diese Chance nicht entgehen lassen. Also ging ich an diesem Freitag zu meinem Chef, erzählte ihm von dieser Möglichkeit und bat um Urlaub. Ich weiß natürlich nicht, ob er mich nicht verstehen konnte oder wollte, jedenfalls lehnte er mein Gesuch ab. Irgendwie war ich nicht einmal bestürzt oder traurig, denn von einem Moment zum nächsten wusste ich, was ich machen würde. Am Montag lag meine Kündigung auf seinem Tisch. Es war der Anstoß von außen, den ich gebraucht hatte, um endlich meinen Weg neu auszurichten. Heute rückblickend war es die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können.
NK: Im Rahmen der Verbesserung der Kommunikation, Motivation und Konfliktlösungen sprechen Sie von der Eisberg-Theorie und versuchen verborgene menschliche Bewusstseinsbereiche transparent zu machen. Was können wir darunter verstehen?
Förster: Ein Eisberg hat zwei Teile – den sichtbaren und den unsichtbaren unter der Wasseroberfläche. Das Gefährliche an ihm ist der unsichtbare Teil. Die Eisbergtheorie greift das auf und sagt, dass nur der sachliche Teil der Kommunikation oder eines Konfliktes sichtbar sind und das eigentliche Problem unsichtbar darunter liegt. Hier finden wir unsere Gefühle, Erwartungen, Werte, Glaubenssätze, unsere Ängste. Sie sind die eigentlichen Ursachen für Konflikte. Die sprechen wir aber selten direkt an, sondern wir beschäftigen uns meist nur mit dem „Scheinkonflikt“ und sind dann verärgert, wütend oder sogar frustriert, wenn die Lösung des Konfliktes nicht den gewünschten Erfolg bringt. Ich versuche nun, in meiner Arbeit an das eigentliche Thema oder das eigentliche Problem zu kommen. Durch meine Fragen soll sich mein Gesprächspartner immer wieder hinterfragen, bis er oder sie an dem eigentlichen Konflikt-Punkt ist und wo sagt: „Ja, eigentlich geht es mir um das …!“ Dann können wir mit dem Problemlösungsprozess anfangen.
NK: Sie vermitteln Ihren Klienten, dass es wichtig ist, Visionen zu haben. Welche Visionen sollte jeder Mensch haben und wie kann man sich selber immer wieder diese Visionen verinnerlichen?
Förster: Auf solch eine Frage kann ich keine pauschale Antwort geben. Menschen sind unterschiedlich und haben verschiedene Bedürfnisse. Es gibt Personen, die es lieben, planlos in den Tag hineinzuleben. Und es gibt Menschen, denen diese Flexibilität Angst machen würde, die lieber ihr Leben planen, die wissen wollen, wohin es geht.
Ich glaube allerdings auch, dass jeder von uns sich Zeit nehmen sollte, um folgende Fragen für sich zu beantworten: Was will ich aus meinem Leben machen? Was will ich haben? Wer möchte ich sein? Wer bin ich momentan? Bin ich wirklich, wo ich sein möchte? Was habe ich getan, um da zu sein, wo ich bin? Was müsste ich tun, um dorthin zu gelangen, wo ich hin will? Weiß ich überhaupt, was ich will? Auf diese Fragen helfe ich meinen Kunden, Antworten zu finden.
NK: Sie sprechen auf Ihrer Homepage davon, dass Sie glücklich sind, wenn Sie Denkanstöße geben können, die anderen und Ihnen helfen, sich weiter zu entwickeln. Können Sie unseren Lesern einige dieser Denkanstöße mit auf den Weg geben?
Förster: Ich provoziere gerne. Ich verunsichere gerne. Ich verlange viel von meinen Kunden. Immer in dem Moment, wenn sie aus ihrem sicheren Hafen des „so habe ich es schon immer gemacht“ segeln, entsteht die Chance für etwas Großartiges. Und dann helfen solche Fragen, wie ich sie oben erwähnt habe.
Der Sommerurlaub steht vor der Tür. Lassen Sie sich doch auf folgendes Experiment ein: Nehmen Sie sich die Zeit und stellen Sie sich einige der obigen Fragen. Seien Sie mutig, ehrlich zu sein. Vielleicht sprechen Sie mit jemandem darüber – einem Freund oder vielleicht sogar einem Coach. Vergewissern Sie sich, dass Sie auf dem richtigen Weg sind und Ihre Ziele kennen, denn wie hat Lucius Annaeus Seneca d. J. gesagt: „Wenn ein Kapitän nicht weiß, welches Ufer er ansteuern soll, dann ist kein Wind der richtige.“ In dem Sinne: Erkennen Sie Ihre Ziele, und der Weg wird sich dann schon finden. ■ (BS)
www.network-karriere.com August 2007

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