Selbstreflexion ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Kompetenzen schlechthin. Für Führungskräfte umso wichtiger. Aber was ist das Ziel eigentlich?

Ziele – Nutzen

Wenn wir uns selbst gut kennen, dann können wir uns auch gut «managen». Aus meiner Sicht kann eine Führungsperson seine Teammitglieder nur dann wirklich gut führen, wenn sie sich selbst auch führen kann. Dafür ist der ehrliche Blick in den Spiegel die Voraussetzung. Ich muss wissen, wo meine Stärken und Schwächen liegen, ich muss wissen, wie ich mich selbst motivieren kann, wie ich Entscheidungen treffe, was meine Wertet sind, usw.

Je besser ich mich selbst kenne, desto deckungsgleicher sind Selbst- und Fremdbild. Das Selbstbild ist meine Wahrnehmung von mir. Und das Fremdbild ist, wie andere mich wahrnehmen. Um ein Beispiel zu geben: Ich begegne immer wieder Führungskräften, die sich scheuen, eine Präsentation zu halten, weil sie sehr nervös und unsicher sind. Das ist ihr Selbstbild. Interessanterweise wirken diese Personen aber nicht zwangsläufig nervös, sondern können auch selbstsicher wirken. D.h. die Zuhören haben ein ganz anderes Bild von der Person (Fremdbild). Durch deren Rückmeldungen lernt die Führungsperson, dass sie nach aussen selbstsicher wirkt, auch wenn innerlich gerade ein Sturm tobt. Das kann Sicherheit und Selbstvertrauen für die Zukunft geben.

Wege zur besseren Selbstkenntnis

➽ Reflexion braucht Ruhe, schaffe dir Inseln, wo du ungestört bist

Selbstkenntnis passiert nicht in der Mitte des Sturmes. Im Laufe des Tages passieren oft so viele Dinge parallel, dass vieles vielleicht sogar in einem Automatismus verschwindet. Und so lange etwas automatisch passiert, ist es uns nicht bewusst. Und wenn etwas nicht bewusst ist, dann kann auch keine Veränderung angestossen werden. «In der Ruhe liegt die Kraft» wird oft gesagt, für Selbstreflexion ist das ganz sicher so. In der Entspannung kann ich mich hinterfragen, Fehler analysieren und Veränderungspotenziale identifizieren.

➽ Reflexion braucht Geduld, es ist wie ein Muskel, der trainiert werden möchte

Die Idee, dass Selbstreflexion irgendwann einmal abgeschlossen ist, dass ich mich irgendwann einmal ganz kenne, ist eine Illusion. So wie wir uns immer wieder verändern, weiterentwickeln und dazu lernen, werden wir auch nie an den Punkt kommen, wo wir uns 100% kennen und verstehen. Je tiefer wir in das Unbewusste abtauen, desto mehr Fragen tuen sich auf. Geduld ist also gefragt.

➽ Reflexion braucht Routine. Ständiger Wechsel bringt nur Unruhe ins System

Wer sich einmal auf den Weg gemacht hat, wird merken, dass feste Gewohnheiten helfen, am Ball zu bleiben. Irgendjemand hat mal 21 Tage definiert, um eine neue Gewohnheit zu etablieren. Wir wissen heute, dass das auch nicht stimmt. Wir brauchen viel länger. Ich vergleiche es oft mit folgendem Bild: In den alten Zeiten, wo wir Menschen noch mit Pferdewagen auf unbetonierten Wegen unterwegs waren, haben die Wagenräder Furchen in die Erde gedrückt. Je öfter wir auf diesen Wegen fuhren, desto tiefer die Furchen. Diese Furchen stehen für unsere alten Gewohnheiten. Wenn wir auch nur einen Millimeter ausserhalb der Furche unterwegs waren, wurde es automatisch schwieriger, langsamer und manchmal blieben wir auch stecken. Genauso ist es mit den neuen Gewohnheiten. Immer wieder rutschen wir in unsere alten «Furchen» rein. Es braucht also Zeit, um neue Wege zu schaffen.

➽ Reflexion braucht Ehrlichkeit, alles andere macht keinen Sinn

Reflexion ohne Ehrlichkeit ist Selbstbetrug. Ja, manchmal tut es weh, was wir über uns selbst herausfinden. Manchmal mögen wir die Person im Spiegel so gar nicht. ABER, nur der ehrliche Blick hinter die Kulissen, die ehrliche Antwort, warum wir so gehandelt haben, wie wir gehandelt haben, bringt uns weiter.

➽ Reflexion braucht den liebevollen Umgang mit sich selbst, sonst wird es zum Spiessrutenlauf

Und genau diese Ehrlichkeit darf aber nicht ausarten in eine Art Selbstgeiselung. Wir dürfen nie vergessen, warum wir uns selbst reflektieren. Wir wollen uns besser kennen und verstehen lernen. Dabei dürfen wir nett zu uns selbst sein. Und wir müssen auch nicht unsere Eltern für alles verantwortlich machen, wie viele es in einer oberflächlichen Selbstreflexion oft machen. Dann sind die Eltern an allem Schuld und der Fall ist abgeschlossen. Ganz so einfach ist es dann doch nicht.

Meine persönlichen Rituale – Übungen

Mein Morgen beginnt mit einer Meditation. Den Tag mit Ruhe, und einer Intension zu beginnen, hat sich für mich bewährt. Dabei sitze ich immer im selben Zimmer, auf demselben Stuhl. Mache eine Kerze an und lege mir einen Schal um. Diese kleinen Punkte helfen mir, in die Ruhe zu kommen. Ob ich dann eine geführte Meditation mache, oder ein Mantra nutze, oder die Stille geniesse, ist dabei für mich nicht so entscheidend. Anschliessend habe ich es sehr gerne, wenn ich zwei oder drei Reflexionsfragen schriftlich beantworte. Damit vertieft sich für mich die Erfahrung.

Am Abend schreibe ich Tagebuch, um den Tag zu beenden. Dabei habe ich 5 Punkte, die ich mit sturer Gewohnheit abarbeite:

➀ Was gilt es zu ENTSORGEN?

Hier schreibe ich alles auf, was an dem Tag schief gegangen ist, was mich geärgert und genervt hat. Es darf geflucht und gewettert werden. Das schafft Luft.

➁ Worum bitte ich?

Es gibt Sachen, die liegen ausserhalb meiner Kraft, meiner Möglichkeiten. Hier dürfen sie Platz finden und geäussert werden. Manche würden es als Gebet bezeichnen, andere würden es als Vision benennen, die manifestiert wird.

➂ Welches Wunder brauche – wünsche ich mir?

Die Sache mit den Wundern kann noch einmal ein Blog für sich sein. Was ich hier mache ist, ich schreibe eine offene Frage auf, wie z.B. Wie kann ich mein Buchmanuskript veröffentlichen? Und dann gehe ich in die Ruhe und lausche, ob sich Antworten finden lassen. Ich gebe meiner Intuition den Raum, gehört zu werden, denn die Antworten stecken ja schon alle in mir. Ich muss sie nur rauskitzeln.

➃ Was muss noch gesagt werden?

Der vierte Punkt erlaubt mir, Dinge aufzuschreiben, die ich noch nicht benannt habe. Manchmal sind es Sachen, an die ich mich gerne erinnern möchte, manchmal gibt es hier nichts zu sagen.

➄ Wofür bin ich dankbar?

Grundsätzlich ist der letzte Punkt, dass ich mindestens 5 Sachen aufschreibe, für die ich an dem Tag dankbar bin. Oft wird hier der Fehler gemacht, dass nur an grosse Dinge gedacht wird: jemand hat ein gesundes Kind geboren, oder einen neuen Job bekommen. Ich habe gelernt, auch für die kleinen Sachen im Leben, dankbar zu sein. Blumen, die ich am Wegesrand gesehen habe. Das trockene Wetter auf dem Weg zum Bus. Oder manchmal danke ich auch der Person, die Aspirin entdeckt hat, denn es hat mein Kopfweh gelindert.

Ob diese Gedanken in einem wunderschönen Notizbuch Platz finden, oder auf online (evernote[i], google drive[ii]) ist dabei ganz nebensächlich. Ich recycle z.B. gebrauchte A5 Briefumschläge.

Reflexionsfragen

Was ist mir heute besonders gut gelungen?

Was ist mir heute nicht gut gelungen und woran hat es vielleicht gelegen?

Wann und wie habe ich heute meine Stärken gelebt?

Wann und wie bin ich heute mit meinen Schwächen an Grenzen gestossen?

Was sind meine Werte?

Was brauche ich im Leben?

Wo finde ich Lebensfreude?

Worauf hoffe ich?

Was ist meine Intension?

Was möchte ich kreieren?

Was kann ich vereinfachen?

Was oder wer inspiriert mich?

Was habe ich schon erreicht und was möchte ich noch erreichen?

Was sollte ich mehr ausbalancieren?

Wo sollte ich meinen Standpunkt überdenken?

Wie kann ich mehr Wertschätzung zeigen?

Wo und wie kann ich geduldiger sein?

Was würde ich machen, wenn ich keine Angst hätte?

Was würde ich machen, wenn ich keine Zwänge verspüren würde?

Mein SUPERTIPP Nr.1 (für alle englisch sprachigen): Es gibt ein Kartenset mit wirklich inspirierenden Reflexionsfragen von Sylvia Nibley[iii]. Jeden Tag eine Karte ziehen und die Frage beantworten, kann schon ein ganz sanfter Einstieg ins Reflektieren sein.

Mein SUPERTIPP NR. 2 Ein selbstgemachtes Kartenset (SoulCollage®): Jeden Morgen eine Karte ziehen und sie den Satz beenden lassen: «Ich bin die, die…». Die Bilder erlauben uns, ins Unterbewusstsein einzutauchen und aus dessen Tiefe, Erkenntnisse zu ziehen. Mehr dazu im nächsten Blog.

Abschliessend, Selbstreflexion ist ein Prozess, der kein Ende hat, der uns allerdings immer und immer näher an uns selbst führt. Je besser ich mich kenne, desto authentischer trete ich auf, desto glaubwürdiger bin ich, desto überzeugender wirke ich.


[i] https://www.evernote.com/

[ii] https://www.google.com/drive/

[iii] https://inquirycards.com/